Über das Kunstwerk

Welchen Anspruch hat ein Kunstwerk zu erfüllen, damit es Kunst ist? Neulich im Kunstmuseum verirrte ich mich in den Bereich mit der modernen Kunst. Ich mag ihn nicht besonders, er rangiert auf meiner Beliebtheitsskala ungefähr auf derselben Höhe wie die christliche Kunst der Renaissance, die unzählige Bilder der Madonna mit Kind hervorgebracht zu haben scheint. Das ist nicht so ganz mein Ding. Schrecklich finde ich ...

 ... ihn deshalb, weil ich die meisten Sachen darin nicht verstehe. Jedesmal wenn ich dort bin, stolpere ich über etwas, dass ich entweder unbeschreiblich hässlich finde oder einfach nichtssagend. Meist beides. Bei meinem letzten Besuch stand ich vor einem Haufen Müll, den jemand auf einem Klapptisch drapiert hatte. Das ganze Ensemble lehnte an einer weissen Wand. Es war ein recht klappriger Klapptisch, so einen, wie man ihn zum Tapezieren benutzt. Neben mir ein älteres Paar, beide betont jugendlich gekleidet, die mit Kennermiene diesen Stapel aus geknüllten Papieren, Bleistiftanspitzresten, Klebebandknöllchen, zerfetzter Pappe und anderem betrachteten. Sie starrten diesen Haufen an und ich starrte sie an, weil ihr Verhalten in meinen Augen wesentlich interessanter war. Da stellte sich mir wieder einmal die Frage: Was ist daran Kunst? Und würden die beiden sich das in ihr Wohnzimmer stellen? Hätte ich einen Haufen Müll in meinem Wohnzimmer, dann wäre er sicherlich in ein paar Tagen von einem liebmeinenden Mitmenschen entsorgt worden. Schwer vorstellbar, dass jemand in meinem Bekanntenkreis den Inhalt eines umgedrehten Papierkorbes zu Dekozwecken auf einem Couchtisch tolerien würde. Oder auf einem dermassen ramponierten Klapptisch. Ich sah also dieses Pärchen an und stellte mir ihr biederes, aufgeräumtes Wohnzimmer vor. Nette Sitzgarnitur mit weichen Kissen in Uni-tönen, vermutlich ecru oder beige oder irgendsoetwas nettes, schlichtes Parkett mit einem einigermassen teuren Teppich, schöne weisse luftige Gardinen, ein paar altmodische Lampen und natürlich gepflegte neutrale Wohnzimmerpflänzchen wie einen Ficus oder ein paar Veilchen. Ach, schlagen wir über die Stränge, warum nicht Orchideen? Die ultimative Schrankwand nicht zu vergessen, die darf ja in keinem deutschen Wohnzimmer fehlen. Bei den beiden mit ihren Gesundheitslatschen tippte ich auf gelaugtes Kiefernholz aus renaturierter Forstwirtschaft, vermutlich passend zum Parkett. Aber da war kein Platz in meiner Vorstellung für einen Haufen Altpapier, denn die beiden recyclen sicher liebevoll jede Zeitung von Hand, geschweige denn für einen Papierkorb, den man mal zu Dekozwecken entleeren könnte. Passt ja auch nicht zu den Sofakissen. Aber warum stehen sie im Museum und tun so, als wäre der Haufen Schrott da auf dem Klapptisch plötzlich toll, nur weil er in einem Flügel des Museums steht, der mit Moderne Kunst überschrieben ist? Würde ich den Tisch nehmen und ihn zu den Renaissance-Madonnen stellen, dann wäre er von denselben Leuten mit Nichtachtung gestraft worden. Armer Tisch. Ich dachte also daran, wie faszinierend der soziale Kontext eines Kunstwerkes ist und das es erst Kunst ist, wenn man von ihm in diesem Zusammenhang spricht. Es ist also gar nicht unbedingt der Künstler, der Kunst macht. Bei Homer Simpson war es auch nur der verpfuschte Aufbau eines Gartengrills, genauso missverstanden und genauso sinnlos ohne den künstlerischen Kontext. Ich war so schön am Philosophieren und kam mir dabei richtig toll vor, weil ich endlich glaubte, einen Ansatz zur modernen Kunst gefunden zu haben, und das dank den Simpsons wohlgemerkt! Und wie ich da stand neben dem älteren Pärchen kam ein Mann im Blaumann, entfaltete einen Plastikmüllsack, räumte den ganzen Dreck ein und verschwand. Zurück blieben ein leerer Tisch und zwei desillusionierte Kunstfreunde sowie eine Philosophin mit dem schadenfrohen Gedanken, es diesmal besser gewusst zu haben.

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Kommentare: 2
  • #1

    lelo (Donnerstag, 25 Oktober 2012 16:35)

    Oohh ja! Diese Frage, wieso etwas jetzt Kunst sein soll, was ich einfach nur als Uninspiration oder das Werk eines Kleinkindes deuten kann, habe ich mir auch schon oft gestellt. Unbegreiflich was man in manchem Museen so finden kann. (oder bin ich in diesen Fällen nur viel zu unkreativ um sie besser deuten zu können? :S )
    Deshalb mag ich um so mehr das Ende deiner Geschichte *schmunzel* :)

  • #2

    Westmonster (Mittwoch, 31 Oktober 2012 13:58)

    *lol* Herrlich, wenn das Leben Komödien schreibt! Und auch eine herrliche, künstlerische Beschreibung deines Philosophier-Trips - in jedem sozialen Kontext! Das ist übrigens ein interessantes Konzept mit dem sozialen Kontext der Kunst, hatte ich so noch nicht betrachtet.