Haarige Zeiten

Heute hatte ich eine Begegnung der kaiserlichen Art. 

Hierzu muss ich ein klein wenig ausführen, was ich mit dem Rest meiner Zeit anstelle, wenn ich nicht gerade hier bin und Seemansgarn spinne. Ich arbeite in einem Gebäude, das ein Museum und eine Bibliothek beherbergt und selbst unter Denkmalschutz steht. Dieses schöne Gebäude betritt man durch eine grosse doppelflügelige Tür aus lackierter Eiche mit Ziergittern und Messingknauf. Man gelangt in einen Windfang und von dort aus in eine kleine Vorhalle mit Marmorboden und einem kleinen Empfangstresen für das Museumspersonal, hinter dem aber so gut wie nie jemand sitzt. Hier steht eine Vitrine mit kleinen Andenken und ein Podest, auf dem diverse Flyer und Broschüren über Ausstellungen und Veranstaltungen liegen. Rechts und links führen Treppen in einem schwungvollen Bogen nach oben. Hinter der Vorhalle beginnt das Museum und die Treppen führen hinauf in die Bibliothek im ersten Stock. Ich bin heute aber nicht am Museum oder der Bibliothek interessiert, daher gehe ich durch die Vorhalle in den hell gestrichenen Flur, biege gleich nach links ab, gehe an den ersten Vitrinen vorbei und werfe dabei einen Blick auf etruskisches Geschirr. Gleich nocheinmal links ist eine grosse Tür. Dahinter führt eine weitere Treppe hinab in die Kellerräume des Museums. Der Gang ist nicht beleuchtet, aber unten brennt Licht. Ich muss mich also nicht im Dunkeln hinabtasten. Die Treppe macht einen Knick. Ich gehe hinunter in den Keller unseres archäologischen Museums. Dort steht der Grossteil unserer Gipsabgusssammlung. Ich habe mich mit Stift und Zeichenpapier bewaffnet, aber was ich zeichnen will weiss ich nicht. Die Abgüsse von Statuen, Büsten, Reliefs und Fragmenten stehen hier dicht gedrängt zusammen, als hätte man sie zur Jahresvollversammlung der globalen Gipskunstwerke geladen. Alle sind schneeweiss. Das Deckenlicht ist gelblich. Das Untergeschoss des Museums ist gross und erstreckt sich unter dem gesamten Gebäude, aber alles ist dicht mit Statuen vollgestellt, sodass ich das Gefühl habe in einer grossen und sehr stillen Menschenmenge zu stehen. Ich schreite mutig voran. Um diese Zeit ist das Gebäude für Besucher nicht zugänglich und ich hab die Abgusssammlung für mich allein. 

Zunächst einmal drehe ich meine gewöhnliche Runde. Auch hier gelangt man beim Hereinkommen zuerst in einen Vorraum und danach in einen Gang. Wie oben gehe ich also nach links, vorbei an den Toiletten und den Gang entlang bis in einen grossen Raum an der östlichen Schmalseite des Gebäudes. Hier stehen Gipsabgüsse von plastischen Statuen an den Wänden und in der Mitte des Raumes. Ich halte mich links und gehe immer an der Wand entlang. Zuerst bleibt mein Blick an einem sitzenden bärtigen Mann hängen. Er hat die Arme locker auf den Beinen liegen, um die Hände und Gelenke sieht man gewundene Lederriemen, ansonsten ist er unbekleidet. Sein Kopf ist von mir abgewandt, er schaut nach links. Also gehe ich an ihm vorbei, da dies eh meine Richtung ist und kann ihm nun ins Gesicht schauen. Er ist ja verletzt! Schnitte im Gesicht und die Ohren sehen aus, als hätte man ihn gerade verprügelt. Trotzdem sieht er gelassen aus. Also frage ich mich, wie wohl sein Gegner aussehen muss und gehe einmal ganz um ihn herum. Der Mund ist geöffnet, die Augen blicken fragend, Haar und Bart sind gelockt und frisiert. Er hat eben noch geboxt und ruht sich jetzt aus, aber gleich ist er bereit für seinen nächsten Kontrahenten. Wahrscheinlich steht er jeden Moment auf, zieht die Riemen zurecht und steigt erneut in den Ring. Ihn werde ich nicht zeichnen können, er hat zu tun. 

Mein Weg immer an der linken Wand entlang führt an weiteren Statuen und Reliefs vorbei bis ich wieder auf eine sitzende Statue stosse. Es ist eine recht kleine Statue und trotz des Podests, auf dem sie kauert, blicke ich auf sie hinab. Es ist eine alte Frau, die eine grosse Amphore mit Wein umschlingt. Ihr Kleid ist über die eine Schulter gerutscht und ihr Blick hat das ferne verträumte Aussehen einer Betrunkenen. Sie sieht gleichzeitig glücklich und bedauernswert aus. Sicherlich ist sie nicht in der Verfassung, um gemalt zu werden. Also wende ich mich ab und stehe vor einer grossen Base, auf der eine lebensgrosse Gestalt ruht. Es ist ein junger Mann, der sich mit geschlossenen Augen auf einem Fell räkelt. Auf dem Kopf trägt er einen Blätterkranz. Auch er ist unbekleidet, aber es ist in der Antike häufig so, dass man unvermittelt auf (meist durchtrainierte) nackte Männer stösst. Ein überaus ansprechender Anblick, allerdings scheint er mich nicht bemerkt zu haben, da er ja schläft. Stören möchte ich ihn nicht und es gehört sich auch nicht, einen nackten Mann ohne dessen Erlaubnis zu zeichnen. Etwas an dem jungen Mann scheint auch nicht ganz menschlich zu sein. Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, er hat einen Satyrschwanz. Jedenfalls werde ich nicht so töricht sein und seine Wut auf mich nehmen, mit Fabelwesen legt man sich besser nicht an. Also muss ich mir ein anderes Studienobjekt für meine Zeichenkünste suchen und gehe weiter. Diesen Teil der Sammlung lasse ich hinter mir und gehe durch den Gang zurück, immer noch mit der Wand zu meiner Linken. Ich komme an der Treppe vorbei, rechts und links von mir im Gang sind weitere Statuen und Reliefs. Alle sind schön und eindrucksvoll, ich kann mich gar nicht entscheiden. Also biege ich gleich bei der nächsten Gelegenheit wieder links ab und stelle fest, dass ich nicht an einer Wand, sondern an der Rückseite eines Regales entlanggegangen bin, es nun umrundet habe und seine Vorderseite und Inhalt auf meiner linken Seite liegt. Ich schaue mir die Portraits auf den Regalbrettern an. Die meisten sind von römischen Kaisern und die bekannteren Herren erkenne ich sogar wieder. Ich könnte ein Portrait zeichnen, aber welchen der Herren soll ich auswählen? Einen Augustus? Aber der wurde schon so oft dargestellt, sicherlich wäre es fair, einem weniger bekannten Kaiser den Vortritt zu lassen. Vielleicht einen älteren Herren, trotz der für mich schwierigen Falten? Caligula und Nero sind zwar jünger, haben aber beide einen schlechten Ruf und scheinen mir auch zu ungeduldig für eine Zeichensitzung zu sein. Immerhin werde ich einige Zeit für die Arbeit brauchen, da möchte ich sie gern in netter Gesellschaft zubringen. Vielleicht einen von den Flaviern? Aber nein, die sind ja so eigen was ihre Glatzen betrifft, ich habe keinen Bedarf an Todesdrohungen, möchte aber die Zeichnungen doch naturgetreu versuchen und nichts beschönigen. Also die auch nicht. Ich bleibe vor Trajan stehen. Das Gesicht ist markant, könnte ein wenig knifflig werden diese Nase zu zeichnen, aber dafür ist die Frisur sehr schlicht gehalten und er schaut auch recht geduldig aus. Ich stelle mich also vor und mache mich ans Werk. Eine Weile verbringen wir in einträglichem Schweigen und ich merke schon, dass ich hier gute Fortschritte mache. Ich übe ja noch und bin auch mit den römischen Portraits noch nicht so vertraut. Meine Erfahrung im Statuen abzeichnen beschränkt sich bislang auf die griechischen Götter im ersten Stock. Das Licht hier unten in der Ecke ist auch etwas trübe, aber ich gestalte die Zeichnung einfach ein wenig weicher und weniger detailliert. Trajan hat nichts dagegen, wenn ich ihn im Dämmerlicht zeichne. Als ich fertig bin, drehe ich den Block zu ihm hin und zeige ihm sein Ebenbild. Genau getroffen habe ich ihn nicht. Dafür fällt mir in dem Bild eine Ähnlichkeit zu jemand anderem auf. Ich kann es nicht genau sagen, aber dann habe ich einen Geistesblitz. Schnell streiche ich mit wenigen Zügen ein paar spitze Ohrmuscheln aufs Papier. Ja, eindeutig. Trajan mit Spitzohren sieht aus wie Mr. Spock (zumindest auf meiner Zeichnung). Ich grinse und klappe den Block zu. Ganz genau ist meine Zeichnung ja nicht. Aber zumindest in einem Punkt bin ich mir sicher. Kaiser Trajan und Mr. Spock haben denselben Friseur!    

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