Leben mit Robotern

Unsere Gesellschaft wird jeden Tag ärmer. Und das schlimme daran ist: Wir merken es nicht einmal!

 

Es ist ein schleichender Prozess, bei dem viel hinter den Kulissen versteckt wird. Aber er ist da. Eben bin ich wieder darauf gestoßen worden und darum möchte ich einmal einen Blick hinter den Vorhang werfen. Was ist passiert? 

Nichts dramatisches... Ich habe eine Lieferung von DHL nicht erhalten. Angeblich war ich nicht zu Hause. Dass das nicht stimmt, interessiert aber niemanden außer mir. Nun habe ich Schwierigkeiten, meine Sendung zu erhalten. Denn das Onlineverfahren für neue Liefertermine lässt auch nur Onlinezahlungen zu. Man hat nicht mal die Option, beim Kurier zu zahlen oder zu überweisen... Also habe ich nach einigen fruchtlosen Bemühungen meinerseits beim Kundenservice angerufen- obwohl ich weiß, dass ein Callcenter-Agent angehalten wird, den Kunden in maximal zehn Minuten zu bedienen... das heißt bei größeren Problemen: eiskalt abservieren. Und wann ruft man den Kundenservice an? Bei größeren Problemen... die Katze beißt sich selbst in den Schwanz. Merkt DHL das? Nein, weil sie hauptsächlich Zahlen vor Augen haben, so wie jedes große Unternehmen.

 

Das Gespräch verlief zum Glück günstig. Ich warte mal den neuen Liefertermin ab. Aber es war auch in zwei Minuten erledigt. Zwei Minuten! Wo ich vorher alleine eine Stunde mit dem Onlineverfahren herumgegurkt hab. Nur so: ich hab meine Zeit auch nicht gestohlen, mit einem Uni-Abschluss werden Stunden, die eigentlich Arbeitszeit sein sollten, auch schnell mal teurer. Mit Zahlen rechnen kann ich auch, jedenfalls wenn es um Geld geht... Vielleicht sollte ich DHL eine Rechnung schicken. 

 

Ich will mich nicht über DHL beschweren, mit anderen Lieferdiensten hat man auch seine liebe Mühe. Ich will auf etwas ganz anderes hinaus: Hätte es von vornherein einen persönlichen Kontakt gegeben (wäre der DHL Bote bis an meine Tür gekommen oder hätte ich auf dem Abholzettel eine Telefonnummer gehabt und nicht erst die vom Kundenservice online suchen müssen) - es wäre sehr viel einfacher geworden. Ich habe eine Stunde Lebenszeit verschwendet, Zeit die ich in andere Dinge investieren wollte. Meinen neuen Blogartikel z.B.

 

Und als ich anfing, darüber nachzudenken, fielen mir noch mehr Beispiele ein. In unserem Supermarkt kann man jetzt selbst aus checken. Klingt ja erst einmal nach Urlaub, ist aber im Grunde ein Euphemismus, eine Verschönerung. Warum? Weil der Kunde erst einmal umständlich lernen muss, mit dem Computer umzugehen. Natürlich kann man von seinem Kunden ein gewisses kooperatives Verhalten erwarten.

Dass das in der Realität aber auch mit halbwegs interessierter Kundschaft nicht funktioniert, zeigt mein Erlebnis in einem Prager Supermarkt: Ich wollte nur ein paar Schokoriegel kaufen, als Souvenir und um die tschechische Schokolade auf Herz und Nieren zu prüfen... vielleicht muss ich da ja öfter hinfahren, wer weiß dass schon, bevor er nicht von der Schokolade gekostet hat? An der Kasse wurde ich vom Kassenband weg gedrängt. Eine Matrone von Verkäuferin dirigierte mich zu einer neuen Selbstbedienungskasse... Da ich kein Tschechisch spreche und sie kein Englisch, ging das nur mit Händen und Füssen. Ich wollte mich in fremden Land mit fremder Währung und Sprache nicht selbst bedienen! Aber ihr Gestikulieren wurde zu einem gefährlichen Gefuchtel, da versuchte ich es freiwillig mit dem Computer. Die Verkäuferin war allein für fünf dieser Kassen zuständig und völlig überfordert. Und ich erst... Und das alte Mütterlein neben mir war zudem auch noch todtraurig, weil ihr die Automatenkasse nicht antworten konnte. Man brauchte kein Tschechisch, um das zu verstehen. Einsame Menschen brauchen die Verkäuferin, ihr Lächeln und ihr "Guten Tag!"

 

Aber wenn der Kunde dann mit dem Computer umgehen kann, und das ist das eigentlich Schlimme daran, braucht er die Verkäuferin oder den Kassierer für den Akt des Einkaufens nicht mehr.

Jetzt werdet ihr denken: Wunderbar wirtschaftlich, auf lange Sicht spart man Geld, was hat sie nur wieder für ein Problem?! Es ist ja nicht jeder ein einsames Mütterlein und wie viele davon gibt es überhaupt... Können ja nicht so viele sein, ist mir in der Bar oder Disko nie begegnet... Ich sage: katastrophal sozial gedacht. Gerade in einer Gesellschaft, wo die Anzahl an Single-Haushalten steigt und steigt, sind soziale Kontakte in jeder Form eine zwingende Notwendigkeit. Und unsere Gesellschaft ist dabei, sie in großem Masse abzuschaffen. Die Kasse zum Selbstbedienen ist nur ein Beispiel.   

Ein weiteres ist das Einchecken am Flughafen. Regelmäßig gibt es lange Schlangen an den Automaten zum Selbsteinchecken, weil die Leute es nicht begreifen. Damit sollen ja die langen Wartezeiten an den Kassen und Schaltern verhindert werden, aber im Grunde verlagert man ein Problem nur in einen anderen Gang, nämlich vor die Kasse statt an der Kasse selbst. Klar, sieht erst einmal besser aus, ist aber für den Kunden genauso frustrierend, als würde er an der Kasse oder am Schalter Schlange stehen.

Pfiffige Menschen drucken ihr Ticket zu Hause aus. Okay. Gebongt. Und dann gibt man nur noch sein Gepäck auf. Und ratet mal: steht Schlange... Also da wäre es doch gleich, ob man nur die Koffer abgibt oder auch noch eingecheckt wird. Zumindest kann man dann mit jemandem sprechen, falls man Fragen hat, der sich mit so was auskennt. Und jetzt mal eine einfache Lösung, wie sich lange Schlangen und Wartezeiten auch verhindern ließen: mehr Personal... nur so ein kleiner Seitenhieb am Rande... 

Ich bin es ehrlich gesagt leid, immer mit Robotern zu reden. Oder mit weit entfernten Callcenter-Agents. Wie oft hatte ich schon ein größeres Problem und bin dann in einem riesigen Büroturm endlos lange durch die Telefonkabel gegeistert, ohne mal wirklich mit jemandem zu sprechen! Die musikalische Begleitung dabei macht einen auch noch aggressiv. 

Letzte Woche brachte unsere Postbotin ein Einschreiben vorbei, hat geklingelt, gewartet bis ich öffnete, mich freundlich begrüßt und mich um eine Unterschrift gebeten. Mir meine restliche Post auch noch gegeben und mir einen schönen Tag gewünscht. Das ist Service! Und das war früher einmal normal- heute machen die Unternehmen Werbung damit und klassifizieren es als ihr herausragendes Merkmal, dass sie von anderen unterscheiden soll... Und ich finde das bedenklich!

Im Supermarkt werde ich mich immer an die Kasse stellen. Ich werde die Kassiererin Anna begrüßen und mich mit ihr ein bisschen unterhalten, bis ich eingepackt habe und gehe. Dann wird sie mir einen schönen Tag wünschen. Und ich glaube, dass diese Wünsche sogar etwas bewirken können. Zum Beispiel ein Lächeln auf dem Gesicht von einem einsamen alten Mütterchen.  

 

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Kommentare: 1
  • #1

    little (du weisst wer ;) ) (Dienstag, 01 März 2016 12:34)

    Super geschrieben und genau meiner Meinung!
    Dazu kommt noch die steigende Zahl Arbeitslose, die durch die günstigeren Roboter ersetzt wurden. Doch an die finaziellen (geschweige denn persönlichen) Folgen denkt niemand. Wie z. B. die Kosten für Kurse zur Wiedereingliederung in die Arbeitswelt.
    Bedenklich, diese Sucht nach immer günstigeren und effizienteren Dienstleistungen und Produkten.