BeTreten auf eigene Gefahr!

Die aktuellen politischen Diskussionen streifen mich meist nur flüchtig, meine Gedanken bleiben oft nicht beim konkreten Problem, sondern wandern fort. Schuld daran ist mein natürlicher Hang zur freien Assoziation, d.h. ich lasse mich von meinen eigenen Gedanken gern ablenken und lande ziemlich schnell bei anderen Themen. 

Normalerweise ist das nicht sonderlich interessant, so ein Ausflug in mein Gehirn, denn die meisten Assoziationen sind ziemlich banal: Essen, Schlafen und glitzernde Dinge sind es, die mich am häufigsten ablenken. Aber jetzt mit der Brexit-Diskussion auf ihrem Höhepunkt hat mich eine Idee gestreift, die es vielleicht wert ist, festgehalten und betrachtet zu werden. Also ab damit unters Mikroskop und genauer hingesehen. 

Die Briten diskutieren, ob sie aus der EU-Gemeinschaft austreten sollen. Das führt bei mir gleich zu mehreren Gedankengängen. Erst einmal erinnert mich der AusTritt an den AufTritt, also das Treten an sich als Tätigkeit. Wenn man das nicht mehr kann, so wie eine Freundin von mir derzeit, und selbst der Weg ins Bad unendlich lang scheint, dann merkt man an vielen kleinen Alltagsaktionen, wofür man eigentlich einen gesunden und unabhängigen Körper braucht. Wenn man den nicht hat - ja, dann braucht man Freunde. Was für meine Freundin zum Glück kein Problem ist, kann für andere schon zu einem großen Problem werden. Wer besorgt denn jetzt die Milch für den Kaffee? Die Frage für mich ist also im Bezug auf Great Britain: Wie willst du auftreten? Solange man gesund und damit unabhängig ist, ist ja alles schön und gut, aber was ist, wenn man schwächelt?

Da ist es, was mich nachdenklich gemacht hat. Natürlich kann man auch ungeahnte Kräfte freisetzen, so wie Carrie. Also die Carrie aus Stephen Kings gleichnamigen Roman und der neuen Verfilmung. Daran erinnert mich der AusTritt auch, denn der letzte Satz des Films sagt: "Man kann jemanden nicht immer nur treten. Irgendwann zerbricht er daran." Gemeint ist natürlich Carrie, die ihre Kräfte erst einsetzt, um sich zu schützen und später, um sich zu rächen. Unverhältnismäßig natürlich, aber wie soll sie auch normale menschliche Verhältnisse verstehen? Carrie steht außerhalb jeder Gemeinschaft.  Und das ist es ja auch, wohin ein Brexit führen würde.

Auch ein starker Geist zerbricht ohne sein soziales Gegenüber. Bei Tritt und Geist dachte ich auch an Demenzkranke. Und zwar weil ich neulich auf einem Vortrag war, wo es unter anderem darum ging, demenzkranke Patienten vor Tritten und Schlägen bzw. vor Missbrauch zu schützen. Überforderte Angehörige und Pfleger werden oft rabiat wenn nicht gewalttätig gegen die Kranken, weil diese Krankheit nun einmal keinen schönen Verlauf nimmt und die Bewältigung für die Angehörigen schwierig ist, unmöglich sogar, wenn sie damit allein gelassen sind. Sie zerbrechen. Und es ist nicht nur der Angehörige, der die Hilfe von außen braucht und auf Familie und Freunde angewiesen ist, um den Kranken zu pflegen. Wissenschaftliche Studien sollen zeigen, dass es eine Tätigkeit gibt, die das Gehirn ungeheuer anregt und anstrengt, was wiederum zu gesteigerter Leistung führt und so vor Demenzerkrankungen schützt:  Soziale Interaktion. 

Damit bin ich rund um meine Überlegungen zum Brexit auf eine Menge interessanter Gedankengänge gestoßen, die mich alle zu einem Ziel führen. Und das ist die Gemeinschaft. Der Mensch braucht dringend soziale Interaktion. Sie regt sein Gehirn an, hält ihn geistig fit und lastet ihn gleichzeitig aus, außerdem kann sie in Notsituationen mehr als nur nützlich sein. Einige Philosophen sind sich sicher, dass der Spracherwerb und die Interaktion miteinander die Auslöser für das starke Gehirnwachstum waren, unsere Intelligenz sich entwickelte und wir deswegen in der Nahrungskette so weit oben stehen. Schimpansen, Delfine und Krähen sind ebenfalls wahre Intelligenzbestien und was haben wir alle gemeinsam? Wir sind sozial.

Und ja, ich werfe mich mit diesen Tieren in einen Topf, warum auch nicht? Ich will ja auch keine Rassenvorurteile haben, warum sollte ich dann Artenvorurteile wollen? Wenn jemand dumm ist (Tschuldigung) dann ist er das aus mangelnder Gehirnleistung und nicht weil er ein Affe ist. Und diese mangelnde Gehirnleistung... die kann man vielleicht mit mehr sozialer Interaktion kompensieren. Es ist also gar nicht so falsch, Flüchtlinge aufzunehmen, in Bezug auf aggressive Nationen Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, sich mit seinen Nachbarn gut zu verstehen und sich trotz Terrorgefahr beim Fußball in den Armen zu liegen. Weil es nichts bringt, wenn man sich einigelt. Das außergewöhnliche junge Mädchen zerbricht schließlich geistig an ihrer Isolation und der alte Demenzkranke verwelkt viel zu schnell in seiner Einsamkeit.  

Ich für meinen Teil werde jetzt nach draußen gehen und mir meine Umwelt und vor allem die Lebewesen darin mit einem freundlichen offenen Auge ansehen. Mal wieder mit jemandem ins Gespräch kommen. Fussball, Sonne und ein Eis mit meinen Freunden. Und deren Freunden. Und vor allem mit den Nachbarn! Na los, kommt mit! Solange das Wetter noch schön ist!   

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Röli (Donnerstag, 23 Juni 2016 11:38)

    Schön. In diesem Beitrag findet sich jeder wieder. Ein Artikel der zum Nachdenken und Nachmachen anregt.